26.11.2020 - AUTOMOBILINDUSTRIE
Beim Daimler beginnt die Schrumpf-Kur
Neben Personalabbau stehen ganze Standorte zur Disposition
Klaus Oberzig
 | | Daimler-Werker am Band
Quelle: Bundesarchiv B_145
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Der Stuttgarter Automobilkonzern Daimler AG will in den
kommenden Jahren bis zu 20.000 Stellen abbauen. Darüber berichteten am letzten
Freitag sowohl die Deutschen Presse-Agentur als auch das Handelsblatt.
Konzernkreisen zufolge sollen jetzt 2 Milliarden Euro an Lohnkosten eingespart
werden. Bisher hatte der Vorstand lediglich Einsparungen in Höhe von 1,4
Milliarde Euro angekündigt. Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates, Michael
Brecht, kritisierte den Kurs des Vorstandes und sprach von einer „Lachnummer",
die er nicht nachvollziehen könne. Aber die Gespräche mit dem Konzern gingen
weiter, auch wenn sie sehr kontrovers seien. Wichtig bleibe, dass so schnell
wie möglich Klarheit entstehe, damit die Mitarbeiter wüssten, woran sie sind.
Die Konzernzentrale wollte die Medienberichte nicht kommentieren. Allerdings
hatte Personalvorstand Wilfried Porth bereits vergangene Woche verlauten
lassen, dass man bereits bei den bisher diskutierten 15.000 abzubauenden
Stellen nicht um betriebsbedingte Kündigungen herumkommen werde.
Über den Schrumpf-Kurs, wie ihn Daimler-CEO
Ola Källenius selbst nennt, sind die Belegschaften in helle
Aufregung geraten. Nicht nur im mittleren Neckar-Raum, sondern in sechs
inländischen Werken drohen Entlassungen. Vor allem den Motorenwerken - wie etwa
Berlin - dürfte ein Aus drohen. Vor kurzem hatte CEO Ola Källenius seine
überarbeitete Strategie für die Elektromobilität vorgestellt. Man wolle nicht
abrupt aus dem Bau von Autos mit Verbrennungsmotoren aussteigen. Zumindest so
lange nicht, wie der Verkauf von Daimler-Luxuskarossen in China und anderswo noch
boome. Aber schon mittelfristig solle Daimler zu einem Mobilitätsanbieter
umgebaut werden. Der Fahrzeughersteller will vom Verkäufer zum Vermieter werden
und seinen Umsatz zunehmende mit digitalen Diensten erzielen. Man wolle mit
Fahrerassistenz- und Infotainmentsystemen punkten. Die Bedeutung der
PKW-Produktion werde abnehmen. Darin sieht Källenius den Grund für den
Stellenabbau. Was er nicht sagt ist, dass er dafür die falsche Belegschaft hat.
Die muss nicht nur verkleinert, sondern ausgewechselt werden.
Die Tiefe
der Differenzen zwischen Belegschaftsvertretern und dem Konzernvorstand ist
denn auch nicht verwunderlich. Von Aussen betrachtet steht der Konzern gar
nicht so schlecht da. Erst vor
wenigen Tagen verkündete Daimler einen Betriebsgewinn von 3,07 Milliarden Euro im dritten Quartal 2020
- eine Steigerung von rund 14 Prozent im Vergleich zum Quartal zuvor.
Verständlich dass der Konzernbetriebsrat dieses Geld nicht unbedingt in das
neue Mobilitätskonzept gesteckt sehen und seine Belegschaften beisammen halten
möchte. Verständlich aber auch, dass die Belegschaften weiterhin Autos bauen wollen
- wenn auch mit E-Antrieb - und keine Infotainmentsysteme. Vielleicht spüren
sie das Risiko, das im Kurs von Källenius steckt. Verbirgt sich hinter dem Wort
von der Lachnummer nicht auch der Gedanke, dass die Asiaten, vor allem China,
diese Dinge längst besser können als die braven deutschen Autobauer? Schuster
bleib bei Deinen Leisten?
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Daimler Van Technology Center in Stuttgart- Untertürkheim - Bild: K.Enslin/Wikipedia
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Der
Umstieg auf E-Mobilität und Softwareentwicklung wird den Konzern viel Geld
kosten. Ob es gelingt, dieses mit luxuriösen Verbrennern und auf dem
chinesischen Markt zu erwirtschaften, ist eine offene Frage. Auch die
Finanzspritzen der Regierung werden möglicherweise nicht ausreichen. So
ehrgeizig die Strategie auch klingen mag, handelt es sich doch erst einmal um
eine Aufholjagd. Mehr als ein Jahrzehnt beharrende Dieselstrategie sowie die
verfehlte Industriepolitik der Merkel-Koalitionen haben den Wirtschaftsstandort
Deutschland in Schräglage gebracht. Dafür steht auch der Schrumpf-Kurs bei
Daimler. Vor allem die Energiepolitik, welche die neue Solarindustrie abgewürgt
hat und die marginalisierte Photovoltaik bis heute im Würgegriff hält, ist
ursächlich. Während hierzulande PV eine Nebenrolle spielte, wurde die
Solartechnologie und ihre Anwendungen zum Gründervater der E-Mobilität. Es gibt
die Linie PV - Batterieentwicklung - digitale Energiemanagementsysteme - und
Räder drunter. Das Geschwätz von der Coronakrise kann das auch nicht
verkleistern.
Offen ist
aber noch eine andere Frage. Werden die Belegschaften überhaupt eine Kampfront
aufbauen können? Freie Gewerkschaften brauchten immer demokratische Rechte wie
das Streik- und Demonstrationsrecht. Und sie brauchen die Meinungsfreiheit. Denn
nur kollektiv sind sie stark und durchsetzungsfähig. Mit Vereinzelung,
Kontaktsperre und dem ekligen Konvolut an Coronaregeln und AHA-Terror wird das
schwer werden. Es zeigt sich schon, wie wenig der Shutdown mit der Gesundheit,
dafür aber umso mehr mit der Wirtschaft und ihrer radikalen Neuausrichtung zu
tun hat. Die Gewerkschaften und ihr Funktionärskörper gehören eher zu
Coronagläubigen und haben herzlich wenig gegen den Abbruch der Grundrechte
getan. Es besteht die Gefahr, dass die IG Metall den Daimler-Belegschaften in
den Rücken fällt.
Mehr im Internet:
Stimmung bei Daimler am Boden, BW 24, 23.11.2020
Daimler-CEO Ola Källenius
Mercedes-Benz Strategy Update 2020 - Interview Ola Källenius
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