12.12.2020 - WAHLKAMPF BERLIN
Berliner SPD im Wahlkampfmodus
Trotz leerer Kassen propagieren die Sozialdemokraten einen weiteren U-Bahnbau
Simon Schaake
 | | Frühstart in den Wahlkampf: Berliner SPD agiert
gegen Ausbau der Strassenbahnen in der Stadt
Bild: scienzz
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Die Verkehrspolitik in Berlin polarisiert wie kaum ein
anderes Thema in der Hauptstadt. Die Abgeordnetenhauswahl 2016 hatte
diesbezüglich nicht unbedingt für Entspannung gesorgt, da sich die daraus
entstandene Koalition aus SPD, Linken und Grünen die sogenannte Verkehrswende
auf die Fahnen geschrieben hatte. Besonders das im Koalitionsvertrag genannte
Ziel der grundlegenden und flächendeckenden Umschichtung der Verkehrsflächen
zulasten des motorisierten Individualverkehrs (MIV) und zugunsten des
Umweltverbundes, also ÖPNV, Fahrrad und Fußgänger, sorgte für Schnappatmung im
autofixierten Deutschland. Auch innerhalb der Koalition gab und gibt es
kontroverse Ansichten darüber, wie eine Verkehrswende auszusehen hat.
Entsprechend rau ist der Umgangston vor allem zwischen SPD und Grünen
mittlerweile geworden.
Die ambitionierten Ziele des Koalitionsvertrags trugen vor
allem eine grüne Handschrift. Sie stellen mit Regine Günther auch die
Verkehrssenatorin. Ebenjene Verkehrssenatorin sieht sich inzwischen auch parteiintern
starker Kritik ausgesetzt. All die hochtrabenden Ziele und Visionen scheinen in
weiter Ferne, aufgerieben zwischen mangelndem Durchführungswillen, Querelen mit
den Koalitionspartnern und vor allem einer Berliner Verwaltung, welche immer
noch unter dem Spardiktat vorangegangener Finanzsenatoren ächzt, welche im
Nachwende-Berlin angesichts des massiven Schuldenbergs der Stadt die Verwaltung
bis zur Handlungsunfähigkeit runterhungerten.
Unter Rot-Rot-Grün wurde zwar personell aufgestockt und der
Etat für Verkehrsangelegenheiten massiv erhöht. Aber insbesondere der grünen Basis geht das nicht
schnell genug. Günthers Resort könne schlicht auf der Habenseite nichts oder zu
wenig vorweisen, um sich im kommenden Wahlkampf der Abgeordnetenhauswahl im
Herbst 2021 zu profilieren. Selbst vermeintlich einfache Projekte wie die
Tramverlängerung vom Hauptbahnhof zum U-Bahnhof Turmstraße stecken seit Jahren
in der Planfeststellung, ohne dass die Bagger rollen. Die Lücke zwischen
Anspruch und Wirklichkeit, sie klafft ausgerechnet bei der urgrünen
Kernkompetenz Verkehr und damit Ökologie weit auseinander.
Während die Grünen angesichts dieser Tatsache und dem näher
rückenden Wahltermin zunehmend nervös werden, ist die Berliner SPD längst im
Wahlkampfmodus angekommen. Erst im September 2020 präsentierte die designierte
Spitzenkandidatin Franziska Giffey zusammen mit ihren Kollegen Michael Müller
und Raed Saleh ein U-Bahn-Konzept, welches insbesondere die Verlängerung von vier
existierenden Linien beinhaltet. Kosten soll das Ganze schlappe 2 Mrd. Euro.
Gänzlich neu sind diese Pläne nicht. Schließlich war es die grün geführte
Verkehrsverwaltung selbst, die bereits 2018 Machbarkeitsuntersuchungen für die
Verlängerung von drei U-Bahnlinien in Auftrag gegeben hatte, später kam noch
eine vierte hinzu. Drei dieser Projekte tauchen wieder im medienwirksam von
der SPD präsentierten U-Bahnkonzept auf.
Es ist kein Geheimnis, dass die Machbarkeitsstudien vor
allem auf Druck der SPD in Auftrag gegeben wurden und die Grünen damit nicht
glücklich waren. Mit Blick auf den 2016 geschlossenen Koalitionsvertrag ist das
nicht verwunderlich. Dort ist ausdrücklich vermerkt, dass keine neuen
U-Bahnpläne vorangetrieben werden und der Fokus stattdessen auf der massiven
Erweiterung des Straßenbahnnetzes liegen soll. Dies sind vor allem grüne
Vorstellungen, die unter anderem damit begründet sind, dass der Bau eines
Kilometers Straßenbahn nur einen Bruchteil der Kosten eines Kilometers U-Bahn bindet
und, zumindest in der Theorie, auch schneller zu realisieren sei. Der
verkehrliche Nutzen von 2 Kilometern verlängerter U-Bahn in einem Außenbezirk -
alle U-Bahnpläne der SPD liegen außerhalb des S-Bahnrings - unterliegt den mit dem gleichen Geld realisierbaren 20 Kilometern Straßenbahntrasse, die
in Summe mehr Menschen einen verkehrlichen Mehrwert bieten und auch
großflächiger Effekte erzeugen können.
Angesichts klammer Kassen und der durch den Klimawandel
dringend notwendigen Neuausrichtung der Stadt- und Verkehrsplanung war und ist
der Fokus auf die Straßenbahn durchaus pragmatisch-vernünftig. Vor allem, da
Berlin im Vergleich zu anderen Städten bereits ein sehr dichtes und
leistungsfähiges Schnellbahnnetz aus S-Bahn, U-Bahn und Regionalzügen besitzt
und somit wenig bis kaum Nachholbedarf auf diesem Gebiet hat. Entsprechend
setzt der aktuelle Koalitionsvertrag zumindest an den richtigen Punkten an,
denn die Straßenbahn hat enormes Potenzial. Die SPD hat diesen
Koalitionsvertrag mitunterschrieben, erwies sich aber schon sehr bald als
querulantischer und dazwischen grätschender Koalitionspartner. Schon früh
machte sie klar, dass sie die Anti-U-Bahn-Haltung der Grünen ganz und gar nicht
teile und forderte immer wieder ganz offen einen Bruch des Koalitionsvertrages,
indem sie die Verkehrsverwaltung drängte, zumindest Planungen zum U-Bahnausbau
anzustellen. Die Ergebnisse der Studien liegen mittlerweile vor, werden aber
noch unter Verschluss gehalten. U-Bahn versus Straßenbahn ist Munition für den
Wahlkampf 2021.
Die SPD, die mit ihren U-Bahnplänen nun praktisch den
Wahlkampf eingeleitet hat und angesichts der finanziellen Volumina ihrer
Visionen auf „Think Big" macht, tut dies nicht allein aus wahlkampftaktischen
Gründen. Sie bleibt letztlich ihrer grundsätzlichen Linie treu, der
autogerechten Stadt entgegen aller Verlautbarungen zur Verkehrswende nie ganz
abgeschworen zu haben und ideologisch immer noch mehr im Jahr 1955, statt im
Jahr 2020 festzuhängen. Verkehrswende gerne, aber bitte nur soweit, dass die
immer noch existierende Vormachtstellung des Automobils auf den Straßen nicht
oder nicht mehr als nötig angegriffen wird. Entsprechend konsequent ist das
Fremdeln der SPD mit der Straßenbahn, deren Ausbau fast nie ohne
Einschränkungen für den Autoverkehr einhergeht. Der Ausbau der U-Bahn dagegen
sorgt maximal in der Bauphase für Einschränkungen an der Oberfläche. Danach herrscht
oben wieder „freie Fahrt für freie Bürger", wenn auch nur in den nächsten Stau.
Aber so behindern sich die AutonutzerInnen wenigstens nur selber, statt von
einer Straßenbahn ausgebremst zu werden.
Diese krude Logik vor allem alter,
in der Verwaltung immer noch existierender westberliner bzw. westdeutscher Denkmuster
sorgte schon 1967 für das komplette Aus der Straßenbahn im Westteil der Stadt.
Ersatz kam damals durch Busse und vor allem neue U-Bahnlinien. Ohne die störende
und als veraltet abgetane Straßenbahn konnte der Wahn der autogerechten Stadt
erst richtig realisiert werden, Straßen umgebaut und verbreitert,
autobahnähnliche Schneisen durch die Innenstadt getrieben und Ampelschaltungen
ausschließlich auf die Bedürfnisse des KfZ abgestimmt werden. Das heutige
Agieren der SPD ist lediglich eine auf aktuelle Gegebenheiten adaptierte
Version dieser Grundhaltung. So kann sie sich zwar mit dem populären Begriff
Verkehrswende und der Ankündigung großer Investitionen in den Infrastrukturausbau
schmücken. Am Ende dient sozialdemokratische Verkehrspolitik aber mehr dem
Erhalt des Status quo auf Berlins Straßen als wirklichen Verbesserungen im
ökologischen und ökonomischen Sinne der Verkehrs- und Stadtplanung.
Mehr im Internet:
BUND Blog: Hirngespinst U-Bahnbau Koalitionsvereinbarung Berlin 2016 - 2022, S. 42 ff
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