09.02.2021 - ETHIK
Homo Deus - das Menschenbild in Coronazeiten
Eine Betrachtung aus christlicher Sicht
Ilka Walter
„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von
dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten
Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft
seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben." [1]
Nicht unbedacht wurde nach dem Zweiten Weltkrieg und der
Hitlerdiktatur der Gottesbezug in die Präambel des Grundgesetzes der
Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Gott steht hier nicht für ein
Bekenntnis zu einer bestimmten Religion, sondern für ein überstaatliches
Normengefüge, an das der Gesetzgeber gebunden ist. Dadurch soll die
Entwicklung zu einem totalitären Staatssystem verhindert werden. Der
Gottesbezug weist darauf hin, dass die staatliche Ordnung von Menschen
gemacht und damit fehleranfällig ist [2]. Bei politischen und
gesellschaftsrelevanten Entscheidungen müssen daher verschiedene
Meinungen und Aspekte berücksichtigt werden. Keinesfalls dürfen sie nur
auf den Vorstellungen einzelner (Staats-)Personen, Parteien oder
Gruppierungen beruhen.
Doch hat der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes überhaupt
noch einen Einfluss auf die Gestaltung des Zusammenlebens einer
Gesellschaft, in der Gott für die Frage nach dem Sinn des Lebens und
nach der Bedeutung des Menschseins immer weniger Relevanz hat?
Gott ist im christlichen Sinne der Schöpfer der Welt; der Mensch wurde als sein Ebenbild zur Freundschaft mit ihm geschaffen.
„Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen. Von dem Baum der
Erkenntnis des Guten und Bösen aber darfst du nicht essen." (Gen
2,16-17).
Dieses Gebot gab Gott den ersten Menschen im Paradies.
„Dieser Baum der Erkenntnis ist ein Sinnbild für die
unüberschreitbare Grenze, die der Mensch als Geschöpf freiwillig
anerkennen und achten soll [...] Der Mensch hängt vom Schöpfer ab, er
untersteht den Gesetzen der Schöpfung und den sittlichen Normen, die den
Gebrauch der Freiheit regeln."[3]
Doch wie groß ist der Reiz, über allem zu stehen, sich weder Naturgesetzen noch Normen unterzuordnen zu müssen. „Ihr werdet sein wie Gott"
(Gen 3,2) sagt die Schlange und verführt die Menschen dazu, von genau
diesem Baum zu essen. Es ist dieser Reiz, der für die Ursünde steht, die
sich durch die Menschheitsgeschichte zieht.
Insbesondere die westliche Gesellschaft ist geprägt durch den Glauben
an einen wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Dass die Natur
erforscht wird, ist im christlichen Sinne nicht verwerflich. Es trägt
dazu bei, die Schöpfung in ihrer Ordnung und Harmonie und damit die
unendliche Schönheit des Schöpfers zu entdecken [4]. Sie macht zwar die
Herrschaft des Menschen über die Schöpfung deutlich und stellt im Dienst
an den Menschen ein wertvolles Mittel dar, kann jedoch nicht aus sich
selbst heraus den Sinn des Daseins beschreiben [5]. Gerade in der
modernen (Schul-)Medizin wird der Mensch überwiegend auf seine
körperliche Funktionalität reduziert, ohne sein geistiges Lebensprinzip,
die Seele [6], in den Blick zu nehmen.
Deutlich wird das in der jetzigen Coronasituation dadurch, dass weder
die psychischen Folgen noch die natürlichen Bedürfnisse der Menschen in
den Blick genommen werden. Es herrscht der Glaube vor, dass die
Verhinderung der Ausbreitung des Virus und die schnellstmögliche
Massenimpfung dazu beiträgt, die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen.
Die Angst, den Wettlauf mit dem Virus zu verlieren, führt dazu,
Impfstoffe ohne ausreichende Prüfung von Wirksamkeit, Verträglichkeit
und Langzeitfolgen zuzulassen und als alleiniges Gegenmittel zu bewerben
- bis hin zur Diskussion über Privilegien für Geimpfte.
Ebenso werden natürliche Mutationen eines Virus als derzeit größte
Gefahr interpretiert, die weitere freiheitseinschränkende Maßnahmen
rechtfertigen sollen. Das Ziel, den Menschen vor Ansteckung zu schützen,
seine körperliche Unversehrtheit zu bewahren bzw. wiederherzustellen,
lässt außer acht, dass die Gesundheit auch das seelische und soziale
Wohlbefinden umfasst. So ist es von der Weltgesundheitsorganisation
definiert und als eines der Grundrechte des Menschen festgelegt [7].
Selbst wenn die gegen die Verbreitung des Virus getroffenen Maßnahmen
in gutem Willen entschieden werden, darf man nicht über den Menschen
und seine natürlichen Bedürfnisse hinwegsehen. Das Bedürfnis nach
sozialem Miteinander, nach Sicherheit, nach Ausübung des Berufs und
persönlicher Entfaltung in Sport und Kultur gehören daher auch zur
Wahrung des Wohlbefindens und der Gesundheit.
Gott hat den Menschen in seine Schöpfung hineingestellt. Verliert der
Mensch den Bezug zu Gott und zu der natürlichen Ordnung, besteht die
Gefahr, in einen narzistischen Ersatzglauben an die eigene Grandiosität
zu verfallen [8]. Der Blick auf das Ganze wird auf eine beherrschbare
Funktionalität beschränkt und nimmt dem Menschen seine von Gott
verliehene Würde.
Quellen und Verweise: [1] wd-3-067-16-pdf-data.pdf (bundestag.de), Seite 3 [2] wd-3-067-16-pdf-data.pdf (bundestag.de), Seite 5 [3] Vgl. Katechismus der katholischen Kirche, Nr. 396 [4] Vgl. Katechismus der katholischen Kirche Nr. 341 [5] Vgl. Katechismus der katholischen Kirche Nr. 2293 [6] Vgl. Katechismus der katholischen Kirche Nr .363 [7] WHO/Europa | Partner - Gesundheit als Menschenrecht[8] Richter, H.-E., Der Gotteskomplex, Vorwort [9] Der Gottesbezug im Grundgesetz | Die Tagespost (die-tagespost.de) [10] Harari, Yuval Noah, Homo Deus, 2020
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